mamonova news

Medizinische Versorgung: Kassen sparen bei Brustkrebspatientinnen

Diagnose Brustkrebs, der Knoten wird entfernt - und tags darauf wird die Patientin schon nach Hause geschickt: Immer häufiger akzeptieren Kassen nicht die festgelegten Pauschalen für einen Klinikaufenthalt nach der OP. Ärzte fürchten, dass durch die Kürzungen die Versorgung der Frauen in Gefahr ist.

Von Christian Gruber

Wenige Wochen nach der Geburt ihres ersten Kindes bekommt Luisa Albers* die Diagnose: Brustkrebs. Die 30-Jährige ist verzweifelt, weshalb die Ärzte sich entschließen, die junge Patientin für die zahlreichen Untersuchungen am Tag vor der Operation stationär aufzunehmen und sie psychisch zu betreuen. Der Tumor wird brusterhaltend entfernt, außerdem der Wächterlymphknoten. Sie bekommt einen Port gelegt, einen Zugang über eine große Vene für die spätere Chemotherapie.
I
n den ersten Tagen nach der Operation hat Luisa Albers noch immer große Ängste und viele Fragen, sie braucht Schmerzmittel und Zuspruch. Man lässt sie auf Station. Das Krankenhaus hilft mit einem Psychologen, speziell geschulte Schwestern versorgen sie. Am dritten Tag dann eine gute Nachricht: Der Wächterlymphknoten ist nicht befallen, sagt der Pathologe. Das heißt: Eine weitere Operation ist nicht notwendig. Die Ärzte setzen sich zusammen und legen fest, wie die Therapie weitergeht. 
Für das Krankenhaus ist Luisa Albers Fall vorerst abgeschlossen. Doch nicht für den Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK). Der prüft Monate später die Abrechnung der Klinik und kommt zu dem Schluss: Die Patientin hätte am ersten Tag nach der Operation noch abends entlassen werden können, nachdem ihr die Schmerzmittel verabreicht worden waren. Psychische Betreuung und Wundversorgung seien kein Grund für stationären Aufenthalt. Schließlich kürzt der MDK dem Krankenhaus die Vergütung um ein Drittel. 
Anton Scharl versteht die Welt nicht mehr. "Das gefährdet die leitliniengerechte Behandlung in den zertifizierten Brustkrebszentren und die Heilungschancen der Patientinnen", warnt der Vorsitzende der Kommission Mamma bei der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG). 4100 bis 4200 Euro bekommen die Kliniken je nach Bundesland für die komplette Behandlung pauschal erstattet. Aber, so der Professor: "Bereits seit einigen Jahren gehen die Prüfinstanzen der Krankenversicherungen vermehrt dazu über, Aufenthaltstage von Patientinnen nachträglich nicht mehr anzuerkennen, so dass am Ende nur noch ein einziger Krankenhaustag anerkannt wird."

Kliniken fürchten Personaleinsparungen
Die Kliniken befürchten, dass sie irgendwann am Personal knapsen müssen, wodurch sich die Betreuung der Patientinnen verschlechtert. "Bei der Aufenthaltsdauer entscheidend ist für den MDK allein die Operation", ärgert sich Scharl, der die Frauenklinik am Klinikum St. Marien im oberpfälzischen Amberg leitet. "Doch bei der Vergütung muss anerkannt werden, dass wir nicht Knoten aus Brüsten schneiden, sondern Menschen mit Krebs behandeln, die Sorgen, Schmerzen und Ängste haben."
Dass die niedergelassenen Frauenärzte künftig mit übernehmen sollen, was die Kliniken wegen der Streichungen nicht mehr leisten können - solche "Erwartungen der Krankenkassen" weist Scharl zurück: "Die Kollegen leisten schon jetzt Erhebliches bei der Krebsnachsorge, und das bei einem pauschalen Entgelt pro Quartal und Patientin von 14 bis 21 Euro, zuzüglich 15 Euro pro Quartal für Patientinnen im Brustkrebsprogramm." Die Betreuung frisch Operierter plus Wundversorgung und der hohe Beratungsbedarf der Patientinnen nach dem Eingriff überlaste die Praxisinhaber schlichtweg.

Zahl der Betroffenen ist unklar
Mit exakten Zahlen, wie viele Brustkrebspatientinnen von den Kürzungen tatsächlich betroffen sind, kann derzeit keine Seite aufwarten. Die statistische Aufbereitung sei extrem schwierig, betonen die Krankenkassen. Man sammle Fallzahlen, sagen die Ärzte. Klar ist: Jährlich erkranken derzeit in Deutschland etwa 57.000 Frauen neu an Brustkrebs, 50 Prozent der Patientinnen können brusterhaltend operiert werden, in frühen Stadien sogar über 80 Prozent.

Beim Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) in Berlin tut man die Vorwürfe der Mediziner als "alarmierend klingende Aussagen von Fachgesellschaften" ab, "an denen substantiell nichts dran ist". Währenddessen pocht die Barmer GEK darauf, dass man "keine regelhaften Kürzungen bei der Verweildauer vornimmt, nur weil die Fallpauschale das hergibt".
Lediglich der AOK-Bundesverband räumt ein, dass "weniger als fünf Prozent" der Fallpauschalen betroffen sind, die mit der Hauptdiagnose Brustkrebs von den Krankenhäusern abgerechnet wurden. "Insgesamt kann man sagen, dass bei über 60 Prozent der Operationen das beschriebene Problem überhaupt nicht vorkommen kann, weil es keinen entsprechenden Vergütungsanreiz gibt", betont Jürgen Malzahn, AOK-Abteilungsleiter Stationäre Versorgung in Berlin. Bei den restlichen Fällen handele es sich meist um kleinere Eingriffe, die innerhalb eines zweitägigen Krankenhausaufenthalts angemessen zu behandeln seien, darunter Biopsien.
Das heißt: Ausgehend von 28.500 brusterhaltend operierten Frauen geraten jährlich um die 1400 Klinikabrechnungen für Patientinnen nachträglich ins Visier des MDK. Jürgen Malzahn bestätigt diese Rechnung. Reine Panikmache von Seiten der Ärzte, wie der GKV-Spitzenverband glauben machen will, ist das Ganze also offenbar nicht.

*Name von der Redaktion geändert

Back