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Agenda 2013 für das Gesundheitssystem

Ärztezeitung, 03.05.2013

"Neuordnung der Versorgung": Ein neues Positionspapier der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung liest sich fast wie das Arbeitsprogramm für rot-grüne Reformen einer ganzen Legislatur. Ein Hebel sind die Arzthonorare.

Ein Reformprogramm für das deutsche Gesundheitswesen hat ein Autorenkreis für die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung vorgelegt. Das Papier "Wettbewerb, Sicherstellung, Honorierung - Neuordnung der Versorgung im deutschen Gesundheitswesen" liefert eine schonungslose Defizitanalyse des Gesundheitswesens und benennt Alternativen.

"Überkommene Strukturen, fehlgesteuerte Prozesse, begrenzte Outcomes": Die 17 Autoren, unter ihnen der frühere BMG-Abteilungsleiter Franz Knieps und Baden-Württembergs AOK-Chef Christopher Hermann, schlagen ein - auch institutionelles - Großreinemachen vor.

Eine einheitliche Gebührenordnung für Ärzte ist die Voraussetzung für die Bürgerversicherung, ja für eine Neuordnung der Versorgung überhaupt. Dies ist die Hauptthese des Positionspapiers.

"Man kann die Bürgerversicherung nicht scharf schalten ohne eine einheitliche Vergütungsordnung," kommentierte Hamburgs Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks das Papier.

Eine einheitliche Gebührenordnung soll nach den Vorstellungen der Autoren des SPD-Think Tanks kein Sparinstrument sein. "Wir müssen das Gesamthonorar aus EBM und GOÄ garantieren", sagte der Kölner Professor Eckart Fiedler, Arzt und gelernter Politologe, bei der Vorstellung des Papiers am Donnerstag.

Das bedeutet aber nicht, dass für jede Praxis der aktuelle Honoraranteil festgeschrieben werden soll. Hausärzte, zumal auf dem Land oder in sozialen Brennpunkten der Städte, sollen sich besser stellen. Verlierer wäre der Arzt mit vielen Privatpatienten.

Einheitlich, dann aber transparent

Der ehemalige Abteilungsleiter im Bundesgesundheitsministerium, Franz Knieps, stellte klar, dass Konvergenzprozesse auf der Ebene der Arztpraxis die Einschnitte abfedern sollten.

Außerdem fordern die Autoren: Weg mit starren Grenzen zwischen ambulanter, stationärer, kurativer und rehabilitativer Versorgung, Medizin und Pflege. Die jeweiligen Steuerungsmechanismen und Vergütungssysteme hätten sich immer wieder als Bremse bei dem Versuch erwiesen, gerade in dünn besiedelten Regionen eine flächendeckende Versorgung zu gewährleisten.

Benachteiligung von Hausärzten und wachsende Versorgungsunterschiede: Das Kollektivvertragssystem von KV und Krankenkasse wird als Ursache von "Verkrustungen" angesehen, die auch durch frühere Reformen nicht aufgebrochen werden konnten.

Ein einheitliches Krankenversicherungssystem: Die Zeit sei "schon seit Jahren reif", da das international einmalige duale System aus GKV und PKV dem Grundsatz der Gleichbehandlung widerspreche und "falsche wirtschaftliche Anreize" setze.

In der Frage für oder gegen die Bürgerversicherung sind die Ärzte gespalten. Bei der jüngsten MLP-Umfrage hatten sich 51 Prozent der Ärzte für die Bürgerversicherung ausgesprochen.

Er habe nichts gegen einheitliche Gebühren, wenn sie nur transparent seien, sagte der Vorsitzende des Hausärzteverbandes Ulrich Weigeldt. Besorgniserregend sei, dass die Zahl der Hausärzte sinke, auch wenn es insgesamt mehr Ärzte gebe, so Weigeldt.

Mehr Macht für die Länder

Diese Entwicklung halten die Autoren des FES-Papiers für einen Effekt der Dualität der Finanzierungssysteme. Fiedler maß EBM und GOÄ ein hohes versorgungs- und strukturpolitisches Gewicht bei. Zwei nebeneinander bestehende Gebührenordnungen verletzten die Grundsätze der Gleichbehandlung und das Solidaritätsgebot, sagte der frühere Chef der Barmer Ersatzkasse.

Sie bedeuteten die Diskriminierung von GKV-Versicherten und führten zur Konzentration von Vertragsärzten in Ballungsgebieten. Sie schadeten aber auch den Privatversicherten, wenn sie übertherapiert würden.

Als Reformalternative plädieren die Autoren dafür, die hausarztzentrierte Versorgung zu stärken und integrierte Versorgungsformen zu fördern. Dazu sollen Selektivverträge als gleichberechtigt neben Kollektivverträgen etabliert werden.

Auch Leistungserbringer ohne Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung (etwa Kliniken oder Reha-Einrichtungen) dürften Partner in Selektivverträgen werden. Zugleich soll es KVen untersagt werden, sich an Verträgen nach Hausarzt- und Facharztverträgen (Paragraf 73 b und c) zu beteiligten.

Einen klaren Machtzuwachs könnten die Länder bei dem von den FES-Autoren vorgeschlagenen Reformpaket verbuchen. Die reine Rechtsaufsicht über KVen und Regionalkassen reiche nicht aus. Nötig sei eine politische Verantwortung, die sich am sektorenübergreifenden Bedarf der Patienten orientiert.

Arztzentriertes System

Diese integrierte Bedarfsplanung -  die auch die medizinische Reha einbeziehen soll - läge dann bei den Ländern. Die KVen wären ihren Sicherstellungsauftrag los.

Neben den KVen wäre das Bundesversicherungsamt (BVA) ein weiterer Verlierer der Neugestaltung. Die Bonner Behörde sollte für die Aufsicht über die Haushalte aller Kassen zuständig sein, Versorgungssteuerung dagegen das Geschäft der Länder.

Dass dieser ordnungspolitische Neuzuschnitt auch innerhalb der SPD strittig ist, wurde bei der Vorstellung des FES-Papiers am Donnerstag in Berlin deutlich.

Hamburgs Gesundheitssenatorin Prüfer-Storcks, als politische Kommentatorin eingeladen, forderte, die Bedarfsplanung bei den KVen zu belassen und nicht den Ländern zu geben. Anderenfalls degradiere man die KVen zu nachgelagerten Behörden.

Die Stärkung der Hausarztmedizin auf versorgungspolitischer Ebene soll sich auch in der Aus- und Weiterbildung niederschlagen. Allgemeinmedizin müsse in Forschung und Lehre einen höheren Stellenwert bekommen.

Das werde ohne "gezielte öffentliche Förderung und Umschichtungen in den Medizinfakultäten nicht machbar sein", heißt es drohend. Auch für eine höhere Zahl von Weiterbildungsstellen in Hausarztpraxen müssten zusätzliche Fördermittel her.

Die FES-Autoren bezeichnen das Gesundheitssystem aber auch als zu "arztzentriert". Sie plädieren dafür, einerseits Pflegekräfte, die im Berufsleben stehen, für eine "eigenständige Tätigkeit in der Primärversorgung" weiterzubilden.

Zum anderen sollten entsprechende Ausbildungsgänge modifiziert werden. Entscheidend sei in beiden Fällen, dass die (Pflege-)Kassen Leistungen in der Primärversorgung auch "angemessen vergüten und nicht als bloße Zusatzleistung betrachten".

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