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Das "Nationale Tumorboard"

B. Lampe, E. Egger, T. Gröning

Das „Nationale Tumorboard“ wurde auf Initiative von Prof. Lampe ins Leben gerufen. Es stellt eine virtuelle Tumorkonferenz für besondere onkologische Problemsituationen dar. Die Autoren erläutern im Folgenden Sinnhaftigkeit und Arbeitsweise dieser Institution.

Anforderungen der Tumorkonferenz nach DKG für die Zertifizierung von Organzentren
Im Erhebungsbogen der Deutschen Krebsgesellschaft (DKG) werden unter der Rubrik Interdisziplinäre Zusammenarbeit (1.2) Kriterien und Anforderungen für eine erfolgreiche Zertifizierung definiert (2). Danach soll die Tumorkonferenz planmäßig mindestens einmal wöchentlich stattfinden. In  Ausnahmefällen können Videokonferenzen die persönliche Anwesenheit ersetzen. Telefonkonferenzen ohne Bildmaterial sind nicht zulässig. Es ist eine verbindliche Teilnahme der wichtigsten Kooperationspartner (Operateur, Radiologe, Pathologe, Strahlentherapeut, internistischer Onkologe,  gynäkologischer Onkologe) nachzuweisen. In der aktuell revidierten Fassung des Erhebungsbogens für gynäkologische Krebszentren wurde festgelegt, dass mindestens 80% (geforderte Kennzahl) aller Patientinnen, die mit Erstmanifestation oder neu aufgetretenem/n Rezidiv/Metastasen in der Tumorkonferenz vorgestellt werden sollen. Das Ergebnis der Tumorkonferenz wird in einem schriftlichen interdisziplinären Behandlungsplan niedergelegt. Empfehlungen der Tumorkonferenz sind bindend (spätere Abweichungen vom festgelegten Behandlungsplan sind zu protokollieren).

Vorteile für Patientin und Arzt
Neben der Erstellung der Behandlungsstrategie, die natürlich auch die Möglichkeit best supportive care einschließen kann, wird in der Regel auch der Zeitpunkt für das Follow-up definiert. Das Follow-up ist das wichtigste Kriterium für die Ergebnisqualität, deren Überprüfung damit bereits in der Tumorkonferenz beginnt. Die Tumorkonferenz fungiert zudem als ein sehr effektives Forum für alle Teilnehmer im Sinne der Aus-, Fort- und Weiterbildung.
Zusätzlich zur leitlinienorientierten Erstellung des Behandlungskonzepts sind selbstverständlich aktuelle Literatur und Studiendaten zu berücksichtigen. Nicht nur die Auseinandersetzung mit Leitlinien und die Sichtung aktueller  Publikationen, sondern auch die Diskussionen im Rahmen der Tumorkonferenz sind intellektuell und als Lerneffekt hoch einzuschätzen. Im Rahmen der Tumorkonferenz werden prä-, intra- und postoperativ erhobene Befunde, das heißt beispielsweise bildgebende oder histopathologische, verglichen, bewertet und diskutiert. Zwangsläufig dient die Tumorkonferenz damit der Qualitätskontrolle. Gezielt können beispielsweise präoperative Befunde relativiert oder im Hinblick auf die jeweilige klinische Relevanz (z.B. Operabilität aufgrund der radiologischen Befunde) abgefragt werden. Die Tumorkonferenz führt damit zu einem verfeinerten Therapiekonzept, nicht nur indem alternative Therapieoptionen besprochen, sondern auch ausgeschlossen werden können.


Unterschiedliche Bewertungen
Überraschend ist, dass systematische Analysen zur Frage, welchen Einfluss die Tumorkonferenz auf die Entscheidungsfindung (medical decision making) hat, zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen kommen. In einem sehr umfangreichen, relativ aktuellen Literaturreview mit wissenschaftlicher Analyse stellt Louise Lemieux-Charles den wissenschaftlichen Beleg infrage, dass der  interdisziplinäre team approach zu einem besseren Behandlungs-Outcome führt. Cohen ging in einer retrospektiven Untersuchung von 509 Patientinnen, die bei einer interdisziplinären Tumorkonferenz vorgestellt wurden, der Frage nach, wie häufig es bei bereits festgelegtem Behandlungsplan zu Änderungen im Behandlungskonzept kam. Bei 46 Patientinnen (9%) wurden Veränderungen vorgenommen. Dabei hatten 30 dieser Entscheidungen definitiven Einfluss (5,9%) auf den Behandlungsplan hinsichtlich Chemotherapie und chirurgischer Maßnahmen.
Cohen gelangte zu der Schlussfolgerung, dass interdisziplinäre gynäkologisch-onkologische Tumorkonferenzen bei einer signifikanten Anzahl von Patientinnen einen wesentlichen Anteil an der gegebenen Empfehlung haben. Ob das Outcome für die besprochenen Patientinnen dadurch tatsächlich verbessert wurde, blieb offen.
Mithilfe einer sogenannten ethnografischen Methode untersuchte Lanceley den Einfluss einer multidisziplinären Besprechung zur Entscheidungsfindung. Lanceley fand in der wissenschaftlich sehr komplexen und aufwändigen Untersuchung drei Parameter, die Einfluss auf die Behandlungsstrategie hatten. Neben der detaillierten persönlichen Kenntnis des jeweils vorgestellten Patienten spielte bei den 53 (!) teilnehmenden Ärzten der unterschiedliche Wissensstand als entscheidende Einflussgröße die wesentliche Rolle. Ähnlich wie Cohen untersuchte auch Santoso retrospektiv bei 459 Fällen den Effekt der interdisziplinären gynäkologisch-onkologischen Tumorkonferenz unter dem Aspekt, wie häufig es zu Veränderungen in der ursprünglich gestellten Diagnose und der daraus abgeleiteten Therapie im Rahmen der Tumorkonferenz kommt. Die Ergebnisse waren ähnlich wie bei Cohen. Bei 6,9%ergaben sich Veränderungen vor/nach der Tumorkonferenz unter Berücksichtigung der ausgesprochenen Empfehlung.

Niveau der Tumorkonferenz entscheidet über die Ergebnisqualität
Die Spezialisierung auch innerhalb der Onkologie schreitet unaufhaltsam fort. Dies hat als Konsequenz zur Organkommission mit speziellen Gremien geführt. Andererseits sind die Anforderungen hinsichtlich der Anzahl operierter Fälle mit Genitalmalignomen mit 40 Fällen pro Jahr nicht sehr hoch (Kennzahl), zumal gleichzeitig eine stadiengerechte operative Behandlung einschließlich  organübergreifender und rekonstruktiver Maßnahmen gefordert wird (5.2 organspezifische operative Therapie). Zwischen der Fähigkeit multiviszeraler Resektionen einerseits und der Zahl der tatsächlich geforderten Genitalmalignome andererseits – nämlich 40 Fälle einschließlich Borderline-Tumoren! – klafft eine Lücke. Das in Kernpunkten sehr niedrige Anforderungsprofil an zertifizierte Genitalzentren ist unter der Zielvorgabe einer flächendeckenden Versorgung entstanden. Nur mit Mindestanforderungen lässt sich tatsächlich eine flächendeckende Versorgung mit zertifizierten Genitalzentren realisieren.

Warum Aufbau eines „Nationalen Tumorboards“?
Durch die Beteiligung von Spezialisten aus den einzelnen Organkommissionen sowie Operateuren mit belegbarer Erfahrung sollte es möglich sein, bei speziellen Fragestellungen und Problemsituationen einen über das übliche Niveau der gängigen Tumorkonferenzen hinausgehenden Behandlungsplan zu entwickeln. Die Möglichkeit, via Internet Spezialisten aus den unterschiedlichen Regionen Deutschlands „an einen Tisch“ zusammenzuführen, um anhand der vorab zur Verfügung gestellten Anamnese und des zur Verfügung gestellten Bildmaterials (apparative Diagnostik, OP-Bilder, Videoclips) spezielle Fälle überregional zu diskutieren, schien reizvoll.
Zu diesem Zweck wurde unter Federführung der Kaiserswerther Diakonie Düsseldorf ein „Nationales Tumorboard“ unter wissenschaftlicher Leitung von Prof. Björn Lampe eingerichtet.
Zu den bereits genannten Bausteinen kommt die Möglichkeit, sich als betreuender Niedergelassener der jeweiligen Patientin direkt in die Tumorkonferenz einzuwählen. Dies ist nicht nur zeitsparend und damit motivierend, sondern bedeutet auch einen erheblichen Informationsgewinn.
Gerade der Niedergelassene kennt die Patientin in der Regel am besten und kann von vornherein unter verschiedenen Aspekten alternative  Behandlungsempfehlungen ausschließen (z.B. als „von der Patientin nicht gewünscht“). Insbesondere aus Zeitgründen nehmen Niedergelassene nur selten (auch wenn angeboten und gewünscht) tatsächlich an der  Tumorkonferenz teil, zumal meist nur ein Fall des jeweiligen Niedergelassenen vorgestellt wird.
Darüber hinaus wäre es auch mit dem Datenschutzrecht vereinbar, in Zukunft Patienten selbst für ihren eigenen Fall im Rahmen des „Nationalen Tumorboards“ zu- bzw. abzuschalten. Bisher wird dies nicht durchgeführt. Hier einige Beispiele für bisherige Fallvorstellungen:

  • Kinderwunsch bei Boderline-Tumor beider Ovarien,
  • Gehirnmetastase bei Ovarial -karzinomrezidiv,
  • Rezidiv bei vorbestrahltem Vaginalkarzinom zur Frage der Exenteration,
  • Indikation zur HIPEC bei Pseudomyxomaperitonei,
  • Borderline-Tumor mit nicht invasiven peritonealen Implantaten im Zwerchfell und
  • cT4, N0 Zervixkarzinom zur OP nach Radiochemothearpie bei Tumorpersistenz.

Wie ist das Tumorboard organisiert?
Die Online-Konferenzen finden einmal monatlich statt. Die Patientenfälle können von den behandelnden Ärzten sehr einfach über eine Maske auf der Internetseite des „Nationalen Tumorboards“ angemeldet werden (www.nationales-tumorboard.de). Zur Teilnahme am „Nationalen Tumorboard“ sind der Aufbau einer Telefonkonferenz sowie die Einwahl über einen Computer via Internetbrowser erforderlich. Die Einwahl in das passwortgeschützte, bedienerfreundliche Online-Programm ermöglicht allen Teilnehmern die zeitgleiche Ansicht der Dokumente zu einer Patientin. Nach Konferenzende wird zu jeder Patientin ein Tumorprotokoll mit den Empfehlungen des Expertenpanels für den behandelnden Arzt erstellt. Regelmäßig sind dem „Nationalen Tumorboard“ bundesweit elf renommierte, spezialisierte Experten zu den verschiedenen Tumorentitäten zugeschaltet. Dieser Expertenkreis soll zukünftig noch erweitert werden. Darüber hinaus können interessierte Gynäkologen nach vorheriger Registrierung teilnehmen.

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